- Russland \(bis 1667\): Vom Großfürstentum Moskau zum Russischen Reich
- Russland (bis 1667): Vom Großfürstentum Moskau zum Russischen ReichMoskaus AnfängeMoskau war der Weg zum Zentrum einer Weltmacht nicht vorgezeichnet. Die Anfänge einer frühen ostslawischen Ansiedlung verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Erstmals namentlich erwähnt wird Moskau in der Nestorchronik eher beiläufig als Grenzort des Großfürstentums Wladimir-Susdal anlässlich eines zufälligen Fürstentreffens im Jahre 1147. 1156 soll Fürst Jurij Dolgorukij eine befestigte Burganlage erbaut haben. Während des Mongolensturmes 1237/38 wurde sie weitgehend zerstört; Großfürst Alexander Newskij wies sie testamentarisch seinem jüngsten Sohn Daniel als Fürstensitz zu.Der politische Aufstieg des Moskauer Fürstenhauses begann nicht zufällig während der Zeit der tatarischen Fremdherrschaft. Nur das besondere Wohlwollen der neuen Herren Russlands ermöglichte es, bei der Vergabe der Großfürstenwürde von der geltenden Senioratsordnung innerhalb der rurikidischen Herrscherdynastie abzuweichen und einem Moskauer Kandidaten vor anderen Anwärtern den Vorzug zu geben. Auf dem steinigen Weg zur nordostrussischen Führungsmacht war das Moskauer Fürstenhaus gerade in den Anfangsjahren durch die geographische Lage, aber auch durch mancherlei Zufälligkeiten in den dynastischen Beziehungen begünstigt.Die Einsammlung von Herrschaftsrechten und die Ausweitung des Moskauer Territoriums auf Kosten der Nachbarn wurden mit wenig wählerischen Mitteln betrieben. 1301 bemächtigte sich Daniel der Stadt Kolomna an der Mündung der Moskwa in die Oka. 1303 nahm sein Sohn Jurij im Handstreich die strategisch wichtige Festung Moschajsk am Oberlauf der Moskwa und brachte damit den gesamten Flussverkehr auf der Moskwa von der Quelle bis zur Mündung unter seine Kontrolle. Die Gebietserwerbungen der folgenden Jahre zielten auf die Beherrschung der wichtigsten Verkehrsverbindungen zwischen oberer Wolga und Oka. Moskaus Rechtsverstöße sorgten für erhebliche Unruhe unter den betroffenen Fürsten. Sie trugen dem Fürsten Jurij einen lang andauernden Konflikt mit seinem Onkel, dem Twerer Großfürsten Michael Jaroslawitsch, ein. Als der Unruhestifter in die Goldene Horde zitiert wurde, schützte ihn ein geschickter Schachzug vor dem Zorn des Khans Özbeg. Jurij nahm Kontschaka (russisch Agafija), die Schwester des Khans, zur Frau. 1317 kehrte er mit einem tatarischen Truppenkontingent und der Großfürstenwürde in seine Residenz zurück. Beide Rivalen büßten ihre Machenschaften aber schließlich mit dem Leben.Der AufstiegMoskaus Stunde schlug 1327. Ein Aufstand der Twerer Bevölkerung gegen die tatarische Garnison in der Stadt löste eine Vergeltungsaktion aus, der sich der Moskauer Fürst mit seinen Truppen anschloss. Der Lohn war die Großfürstenwürde von Wladimir für Iwan I. Kalita (»Geldsack«). Sie blieb seither mit einer kurzen Unterbrechung 1360 bis 1363 im Besitz der Moskauer Dynastie.Unübersehbare Legitimationsdefizite in der Anfangsphase half der unverhoffte kirchliche Beistand zu überbrücken. Eher zufällig war der Metropolit von Kiew und ganz Russland zum engen Verbündeten der Moskauer Fürsten geworden. 1299 hatte sich der Grieche Maxim vor der ständigen Bedrohung durch die Tataren in den Schutz der nordostrussischen Waldregion zurückgezogen. Nach seinem Tode verzögerte eine vom Twerer Fürsten unterstützte Gegenkandidatur die Wahl seines Nachfolgers Peter. Als Klerus und Volk in Twer dem neu gewählten Oberhaupt der russischen Kirche auch weiterhin mit unverhohlener Abneigung begegneten, suchte der Metropolit Rückhalt beim politischen Gegenspieler des Twerer Fürsten und verlegte den Metropolitensitz nach Moskau.Mit dem Segen der Kirche überstand das Moskauer Fürstenhaus in der nächsten Generation eine schwere innere Krise. Während der Minderjährigkeit des Thronfolgers Dmitrij drohte es die gerade erst erkämpfte Führungsrolle wieder einzubüßen und die Großfürstenwürde an Susdal zu verlieren. In dieser Notlage bewährte sich der zum Regenten bestellte Metropolit Aleksej als umsichtiger Sachwalter der Moskauer Interessen. Er verstand es, mit Zähigkeit und diplomatischem Geschick 1363 die Großfürstenwürde aus Susdal zurückzuholen und ein drohendes Zusammenspiel zwischen Twer, den Litauern und den Tataren abzuwenden. Und mit kirchlichem Segen ausgestattet trat Großfürst Dmitrij 1380 dem tatarischen Heerführer Mamaj entgegen. Er behauptete sich in offener Feldschlacht am 8. September 1380 auf dem Schnepfenfeld und nahm den Tataren den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Der »Sieger vom Don« (russisch Donskoj) wurde zur Symbolfigur des russischen Widerstandes.Das zweigeteilte RusslandAls »Sammler des russischen Landes« stießen die Moskauer Fürsten schon im 14. Jahrhundert an ihre Grenzen. Zunehmende innenpolitische Wirren zerstörten das Vertrauen in die Berechenbarkeit der tatarischen Russlandpolitik und die anhaltenden Thronkämpfe in der Goldenen Horde brachten Khane an die Macht, die den ehrgeizigen Zielen der Moskowiter nicht immer gewogen waren und ihnen die schützende Hand entzogen. Noch mehr zu fürchten hatte Moskau die Entwicklung in den russischen Westgebieten. Zahlreiche Fürstenherrschaften waren im Verlauf des 14. Jahrhunderts in den Sog der litauischen Ostexpansion geraten. Litauen hatte seinen Machtbereich noch unter dem Staatsgründer, dem Großfürsten Gedimin, ostwärts bis in den Einzugsbereich des Dnjepr ausgedehnt. Seine Nachfolger gewannen Kiew hinzu, griffen über den Dnjepr hinaus und dehnten ihren Einfluss über Klientelverhältnisse und dynastische Verbindungen bis zur oberen Oka und in das Vorfeld Moskaus aus. Litauen wuchs mit der territorialen Expansion in die Rolle einer Schiedsinstanz in den innerrussischen Machtkämpfen hinein. Zur Abwehr der Moskauer Inbesitznahme setzte Twer folgerichtig auf gute Kontakte zum litauischen Fürstenhaus. Der Twerer Fürst heiratete 1320 eine Tochter Gedimins, 1333 zog der spätere Moskauer Großfürst Simeon der Stolze nach und wählte ebenfalls eine litauische Prinzessin zur Ehefrau.Ende des 14. Jahrhunderts hatte der litauische Großfürst Vytautas als Herr über eine mehrheitlich ostslawisch-orthodoxe Bevölkerung allen Grund, einen Führungsanspruch im antitatarischen Kampf zu erheben. Die schwere Niederlage an der Worskla 1399 hinderte ihn nicht, weiterhin die Einigung der russischen Fürstentümer zu betreiben. Er war kurz vor seinem Tode nahe daran, als Schwiegervater des Großfürsten Wassilij I. und seit 1425 als Vormund des Thronfolgers das Moskauer Erbe anzutreten und die Sammlung des russischen Landes unter litauischem Vorzeichen zu Ende zu führen.Die politische Teilung des ostslawischen Siedlungsraumes zwischen Moskau und Litauen wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge der Polnischen Teilungen wieder weitgehend aufgehoben. Die jahrhundertelange Trennung hatte weit reichende Folgen. Sie hat die Ausdifferenzierung bestehender regionaler Unterschiede unter den Ostslawen weiter beschleunigt und schließlich die fortschreitende sprachlich-kulturelle Aufgliederung in Großrussen, Kleinrussen bzw. Ukrainer und Weißrussen verfestigt.Die »Moskauer Fehde« (1425—53)Beim Tode Wassilijs I. hatte Vytautas die besseren Karten. Dem hochbetagten Fürsten fehlte nur die Zeit, seine unverhoffte Chance zu nutzen. Als Vormund des ältesten Sohnes Wassilij hatte er ein gewichtiges Wort in der strittigen Nachfolgeregelung mitzureden. Der nächstälteste Bruder Wassilijs I., Fürst Jurij von Galitsch und Swenigorod, wollte sich mit der testamentarisch verfügten Abkehr vom bisher geltenden Senioratsprinzip nicht abfinden und löste einen jahrelangen blutigen Onkel-Neffen-Konflikt aus. Der Erbfolgestreit wurde nach dem Tode Jurijs 1434 mit gleicher Erbitterung zwischen den verfeindeten Vettern weitergeführt.Wassilij II. überstand die dynastische Krise nur mit erheblichen Blessuren. Er musste mehrmals aus seiner Moskauer Residenz fliehen und verlor sein Augenlicht durch die grausame Blendung in gegnerischer Gefangenschaft (daher der Beiname »der Dunkle«). Sein Überleben als Großfürst markierte eine Epochengrenze. In der Moskauer Dynastie siegte im Widerstreit der unterschiedlichen erbrechtlichen Regelungen die Primogenitur (Erstgeburtsrecht). Wassilij II. hinterließ seinem ältesten Sohn und Mitregenten Iwan bei seinem Tode 1462 eine gefestigte und ausbaufähige Machtposition.Vom Großfürstentum zum ZarentumDie lange Regierungszeit Iwans III. von 1462 bis 1505 leitete endgültig die Wende zugunsten Moskaus ein. Der energische und weitsichtige Herrscher beendete die Kleinstaaterei, zog die noch verbliebenen russischen Fürstentümer ein, beseitigte die tatarische Fremdherrschaft und öffnete das Tor nach Europa. Die zweite Ehe mit der Griechin Sophia (Zoë) Palaiologa, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, bescherte dem Moskauer Fürstenhof einen viel beachteten Prestigegewinn. Der aufwendige Um- und Ausbau des Kreml zeigte unübersehbar den Willen zum Ausbruch aus provinzieller Enge. Die Herrscher Russlands rüsteten sich nach dem Untergang der byzantinischen Kaisermacht und dem Fall Konstantinopels 1453 für imperiale Aufgaben in der orthodoxen Welt. Schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts formulierte Filofej, ein Mönch aus Pleskau, in seinen Sendschreiben die Idee von Moskau als dem dritten und letzten Rom.Iwan III. beanspruchte für sich noch nicht die — fiktive — Rechtsnachfolge der Kaiser in Konstantinopel. Sein Blick war nach Westen gerichtet. Vom kaiserlichen Hof in Wien entlehnte er den Doppeladler im Staatswappen und das höfische Zeremoniell. Westliche Fachleute lockte er mit großzügigen Angeboten nach Moskau. Sie vermittelten in vielen Berufszweigen die dringend benötigten Spezialkenntnisse und handwerklichen Fertigkeiten. Ihr für russische Augen ungewohntes Auftreten förderte aber auch eine latente Fremdenfeindlichkeit im Lande, die von orthodoxen Eiferern geschürt wurde. Die Kontakte mit dem Westen halfen den Moskowitern, den technologischen Rückstand aufzuholen und sich mit einer zeitgemäßen Waffentechnik aufzurüsten.Zwischen 1462, dem Regierungsantritt Iwans III., und 1533, dem Todesjahr seines Sohnes und Nachfolgers Wassilij III., vergrößerte sich das Moskauer Staatsterritorium um das Sechsfache. Iwan III. gewann die Fürstentümer Jaroslawl (1463 bzw. 1471) und Rostow (1474) und zwang 1485 den Twerer Fürsten zur Flucht. Auch die Handelsmetropole Nowgorod und ihre ehemalige Beistadt Pleskau mussten schließlich die Oberhoheit des Großfürsten anerkennen. An der Westgrenze hatte Iwan III. längst die Initiative zurückgewonnen und den Grenzvertrag von 1449 zu revidieren begonnen. Seit der Eroberung der umkämpften Festung Smolensk 1514 kontrollierte Moskau die wichtige ost-westliche Überlandverbindung nördlich der Pripjetsümpfe. Der Heimfall des Großfürstentums Rjasan 1521 verstärkte die Verteidigungsposition an der südlichen Steppengrenze.Der Machtzerfall der Goldenen Horde hatte den Moskauer Großfürsten in den Außenbeziehungen wieder die notwendige Bewegungsfreiheit zurückgegeben. Die Gefahren aus der Steppe waren damit aber noch keineswegs gebannt. Die Schwierigkeiten mit den Tataren verlagerten sich nur auf die Nachfolgestaaten, die Khanate von Kasan und Astrachan an der mittleren und unteren Wolga, auf die Nogaische Horde und auf das Khanat der Krim.Auf dem Weg zur Moskauer AutokratieUnter den Großfürsten Iwan III. und Wassilij III. wurden die machtpolitischen und ideologischen Grundlagen der russischen Autokratie geschaffen. Im Moskauer Staat fehlten ein landständischer Adel und ein selbstbewusstes städtisches Bürgertum, die der herrscherlichen Allmacht wirksame Schranken hätten setzen können. Der Herrscher beanspruchte in allen Fragen die letzte Entscheidungsbefugnis.Unter Iwan III. wurden in der Einrichtung von Zentralämtern am Moskauer Fürstenhof erste Ansätze zu einer ressortmäßigen Zusammenfassung und Rationalisierung der Staatstätigkeit erkennbar. Die Moskauer Herrscher des 16. Jahrhunderts kümmerten sich um eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Rechtstraditionen in den einzelnen Landesteilen und um die Rettung des kulturellen Erbes. Sie fanden eifrige Helfer unter den führenden Kirchenmännern, die sich seit der faktischen Trennung von der griechischen Mutterkirche in Konstantinopel 1441 um die Normierung eigenständiger kirchlich-liturgischer Traditionen bemühten. In der Frage des Kirchenbesitzes und der Ketzerverfolgung arrangierten sich Iwan III. und Wassilij III. mit dem streitbaren Abt Joseph von Wolokalamsk. Die Reformsynode des Jahres 1551 war das gemeinsame Werk des Zaren Iwan IV. und des Metropoliten Makarij. Die Erhebung der Moskauer Metropolie zum Patriarchat im Jahre 1589 setzte schließlich den Schlussstein zu einem engen Bündnis von Staat und Kirche.Machtausbau unter Iwan IV.Metropolit Makarij inszenierte 1547 die Zarenkrönung Iwans IV. nach byzantinischem Zeremoniell. Der jugendliche Zar trug anfänglich das Reformwerk seiner Vorgänger mit und sammelte seit 1549 einen Kreis sachkundiger Helfer, den »Auserwählten Rat«, zur Vorbereitung weiterer Reformschritte um sich. Iwan IV. versuchte sich an einem grundlegenden Umbau der Lokalverwaltung, ergänzte das adlige Lehensaufgebot durch eine neue reguläre Fußtruppe, die Strelitzen, und regulierte die Verpflichtungen des Adels auf Dienstgütern.Einen epochalen Durchbruch erzielte der Zar an der Ostgrenze im Kampf mit dem Islam. Die Eroberung des Khanats Kasan 1552 öffnete den Moskowitern den Weg über die mittlere Wolga und den Ural nach Sibirien. Mit dem Khanat Astrachan gewannen sie 1556 die Wolgamündung sowie den Zugang zu den zentralasiatischen Märkten und zu den fruchtbaren Ackerböden an der südlichen Steppengrenze. Die Eroberung Sibiriens bereitete 1582 im Auftrage der Großunternehmerfamilie Stroganow eine Truppenabteilung unter dem Kosakenataman Jermak Timofejewitsch vor. Sie leitete einen spektakulären Siegeszug russischer Waffen ein. Ein halbes Jahrhundert später schon standen russische Vorposten am Pazifik. Auf dem Wege zur Beherrschung des eurasischen Raumes verwandelte sich das Moskauer Zarentum schrittweise in ein Vielvölkerreich.Nach 1560 entartete das maßlose Wüten Iwans IV. gegen missliebige Vertreter des Hochadels zu einem regelrechten Terrorregime. Das brutale Vorgehen des »schrecklichen« Zaren spaltete die Gesellschaft. Iwan IV. zog die Konsequenzen aus seiner antibojarischen Einstellung und teilte das Staatsgebiet in Bojarenland und Zarenland auf. Letzteres ließ er von seiner berüchtigten Polizeitruppe, den Opritschniki, drangsalieren.1558 zettelte er den Livländischen Krieg an, der sich rasch zu einem europäischen Konflikt um die Beherrschung der Ostseeküste ausweitete. Der 25-jährige zermürbende Kleinkrieg überforderte die wirtschaftlichen Ressourcen Russlands. Die sozialen Folgekosten hatten vor allem die Bauern zu tragen, deren rechtlicher Status sich zusehends verschlechterte. Ein halbes Jahrhundert später wurde im Gesetzbuch von 1649 die Leibeigenschaft festgeschrieben.Iwan der Schreckliche hinterließ ein ausgeblutetes Land ohne geeigneten Thronfolger. Die Regentschaft des Boris Godunow, eines ehemaligen Opritschnik, der 1598 bis 1605 selbst die Zarenkrone trug, gab ihm nur einen vorübergehenden Halt. Sein Tod stürzte es in eine Existenzkrise.Von den Rurikiden zu den RomanowsIm Übergang von der Rurikidenherrschaft zu einer neuen Herrscherdynastie durchlebte Russland eine »Zeit der Wirren«. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände riefen mehrere Thronprätendenten auf den Plan. Mit polnischer Unterstützung griffen zweimal ausländische Bewerber als angebliche Zarensöhne nach der Krone. Einem ersten »Falschen Demetrius« (1605—06) folgte als zweiter der »Betrüger von Tuschino«, ehe der Polenkönig Sigismund III. Wasa 1610 selbst als Bewerber auftrat und eine polnische Besatzung in den Moskauer Kreml einrückte.Russland überwand die Krisenphase der ausländischen Intervention aus eigener Kraft. Von der Wolgaregion aus kämpfte sich ein militärisches Aufgebot unter Führung von Kusma Minin und dem Fürsten Dmitrij Poscharskij nach Moskau durch und zwang im Oktober 1612 die Polen zum Abzug. Eine Reichsversammlung wählte am 21. Februar 1613 den 16-jährigen Michael Romanow zum neuen Zaren. Er entstammte einer nichtfürstlichen Moskauer Bojarenfamilie, die über eine Seitenlinie mit Iwan IV. verschwägert war. Sein Vater war der in Polen inhaftierte Metropolit Filaret. Zar Michael musste im Frieden von Stolbowo 1617 die schwedische Vormachtstellung in der baltischen Küstenregion hinnehmen und im Waffenstillstand von Deulino 1619 den Polen die Festung Smolensk und die sewerischen Städte an der Desna überlassen, um seinem gefangenen Vater die Rückkehr zu ermöglichen. Für den jungen Monarchen war die staatsmännische Erfahrung Filarets unentbehrlich, der bis zu seinem Tode 1633 alle Fäden der Moskauer Politik in seiner Hand hielt. Filaret beanspruchte für sich auch protokollarisch als »Großer Herrscher« eine Vorrangstellung bei Hofe. Sein Vorgehen sollte unter seinem Enkel Aleksej Michajlowitsch noch ein Nachspiel haben, als der machtbewusste Patriarch Nikon als väterlicher Ratgeber des Zaren mit vergleichbaren Ambitionen auftrat und die Machtfrage im Staate stellte. Nikon wurde 1666 durch den Spruch der Moskauer Synode in die Schranken gewiesen. Bestätigt wurde allerdings die von ihm veranlassten liturgischen Reformen. Sie gaben den Anstoß zu einer Kirchenspaltung und verursachten die Abtrennung der Altgläubigen, die jegliche Neuerungen ablehnten.Unter Zar Aleksej gewann Moskau in allen langjährigen militärischen Konfrontationen — in der baltischen Frage, im Dauerkonflikt mit Polen und in der auf Russland übergreifenden Orientfrage — wieder zusehends an Boden. Der Moskauer Zar wurde schließlich auch in den großen Kosakenaufstand des Bogdan Chmelnizkij gegen den polnischen König (1648—54) hineingezogen. Das militärische Engagement bot eine willkommene Gelegenheit, die linksufrige Ukraine und Kiew hinzuzugewinnen. Im Waffenstillstand von Andrussowo von 1667 einigten sich Polen und Moskau auf eine Zweiteilung der Ukraine entlang der Dnjeprlinie. Der Zugang zur Ostsee blieb dem Zaren aber auch nach dem russisch-schwedischen Krieg von 1656 bis 1658 im Frieden von Kardis 1661 verwehrt. Der Durchbruch gelang hier erst in der nächsten Generation seinem Sohn Peter.Der ungestüme Reformzar Peter I., der Große, brach bewusst mit den altmoskowitischen Traditionen. Er erzwang von einer widerwilligen adligen Gesellschaft eine radikale Umstellung auf westliche Normen. Es war die Knute dieses Zaren, die Russland über die Schwelle zur Neuzeit trieb.Prof. Dr. Edgar Hösch, MünchenWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Russlands Aufstieg (seit 1682): Großmacht im OstenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Mongolensturm und Goldene Horde: Blutige Morgenröte über RusslandDie altrussische Nestorchronik, herausgegeben von Reinhold Trautmann. Aus dem Russischen. Leipzig 1931.Der Aufstieg Moskaus. Auszüge aus einer russischen Chronik, bearbeitet von Peter Nitsche. 2 Bände. Graz u. a. 1966-67.Donnert, Erich: Das alte Moskau. Kultur und Gesellschaft zwischen Großfürstentum und Zarenkrone. Wien 1976.Donnert, Erich: Altrussisches Kulturlexikon. Leipzig 21988.Handbuch der Geschichte Rußlands, herausgegeben von Manfred Hellmann u. a. Band 1: Bis 1613. Von der Kiever Reichsbildung bis zum Moskauer Zartum. 2 Teile. Stuttgart 1981-89.Hösch, Edgar / Grabmüller, Hans-Jürgen: Daten der russischen Geschichte. Von den Anfängen bis 1917. München 1981.Hösch, Edgar: Geschichte Rußlands. Von den Anfängen des Kiever Reiches bis zum Zerfall des Sowjetimperiums. Stuttgart u. a. 1996.The modern encyclopedia of Russian and Soviet history, herausgegeben von Joseph L. Wieczynski. Auf mehrere Bände berechnet. Gulf Breeze, Fla., 1976 ff. Ab Band 56 unter dem Titel: The modern encyclopedia of Russian, Soviet and Eurasian history.Rußland-Ploetz. Russische und sowjetische Geschichte zum Nachschlagen, bearbeitet von Wolfgang Kessler. Freiburg im Breisgau u. a. 31992.Stökl, Günther: Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 61997.
Universal-Lexikon. 2012.